Wednesday, June 22, 2016

Nietzsches Erkenntnistheorie, Welt-Ökonomie und Amor Fati


Für Nietzsche ist das analytische Motto (wie man es von Frege bis Wittgenstein ausdrücken kann): „wahr ist, was sich beweisen lässt“, das Nietzsche in der Umkehr als: 
„was sich beweisen lässt, ist wahr“ ausdrückt – „[…] eine willkürliche Festsetzung des Begriffs »wahr«, die sich nicht beweisen lässt! Es ist ein einfaches »das soll als wahr gelten, soll wahr heißen!« Im Hintergrunde steht der Nutzen einer solchen Geltung des Begriffs »wahr«[…] Das bedeutet also: »was sich beweisen lässt ist wahr« setzt bereits Wahrheiten als gegeben voraus“. (KSA 12, 191) 
Logische Wahrheiten spiegeln ihre ökophysiologische Grundlegung wider: Ihre Aufweisungen sind diejenigen, die im praktischen Vollzug für den Common Sense stehen: 
„[…] denn das Beweisbare appelliert an das Gemeinsamste in den Köpfen (an die Logik): weshalb es natürlich nicht mehr ist als ein Nützlichkeits-Maßstab im Interesse der Meisten“. (ebd.)


Thursday, June 16, 2016

7. Die fröhliche Wissenschaft. Zur unbefleckten Erkenntnisdrang

 
Nietzsche tritt nicht für die „Lüge“ an Stelle der Wahrheit ein. Vielmehr plädiert er dafür, dass die gewöhnliche Haltung gegenüber der Lüge, gegenüber der Illusion, die Haltung des Verdachts, des Ärgers oder Unglaubens aufgehoben werden soll. 

Das Ergebnis ist nicht eine Frage des Glaubens. 
So wie er vor der Illusion der Wahrheit zurückschreckt, blickt Nietzsche in seiner Erkenntnistheorie nur auf die Wahrheit der Illusion. Darin ist er von der Kunst inspiriert:
„[…] – Hätten wir nicht die Künste gutgeheißen und diese Art von Cultus des Unwahren erfunden: so wäre die Einsicht in die allgemeine Unwahrheit und Verlogenheit, die uns jetzt durch die Wissenschaft gegeben wird – die Einsicht in den Wahn und Irrthum als in eine Bedingung des erkennenden und empfindenden Daseins –, gar nicht auszuhalten“. (FW § 107) 
Nietzsches Ziel ist durchweg lebenssteigernd.

Thursday, May 26, 2016

Menschliches, Allzumenschliches



Gefahr der Sprache für die geistige Freiheit. – Jedes Wort ist ein Vorurtheil.      
(Der Wanderer und sein Schatten, §55)




Monday, May 16, 2016

Wahrheit


In welche unnatürlichen, künstlichen und jedenfalls unwürdigen Lagen muss in einer Zeit, die an der allgemeinen Bildung leidet, die wahrhaftigste aller Wissenschaften, die ehrliche nackte Göttin Philosophie gerathen! Sie bleibt in einer solchen Welt der erzwungenen äusserlichen Uniformität gelehrter Monolog des einsamen Spaziergängers, zufällige Jagdbeute des Einzelnen, verborgenes Stubengeheimniss oder ungefährliches Geschwätz zwischen akademischen Greisen und Kindern. Niemand darf es wagen, das Gesetz der Philosophie an sich zu erfüllen, Niemand lebt philosophisch, mit jener einfachen Mannestreue, die einen alten zwang, wo er auch war, was er auch trieb, sich als Stoiker zu gebärden, falls er der Stoa einmal Treue zugesagt hatte. Alles moderne Philosophiren ist politisch und polizeilich, durch Regierungen, Kirchen, Akademien, Sitten und Feigheiten der Menschen auf den gelehrten Anschein beschränkt: es bleibt beim Seufzen „wenn doch“ oder bei der Erkenntniss „es war einmal.“ Die Philosophie ist innerhalb der historischen Bildung ohne Recht, falls sie mehr sein will als ein innerlich zurückgehaltenes Wissen ohne Wirken; wäre der moderne Mensch überhaupt nur muthig und entschlossen, wäre er nicht selbst in seinen Feindschaften nur ein innerliches Wesen: er würde sie verbannen; so begnügt er sich, ihre Nudität schamhaft zu verkleiden. Ja, man denkt, schreibt, druckt, spricht, lehrt philosophisch, — so weit ist ungefähr Alles erlaubt, nur im Handeln, im sogenannten Leben ist es anders: da ist immer nur Eines erlaubt und alles Andere einfach unmöglich: so will's die historische Bildung. Sind das noch Menschen, fragt man sich dann, oder vielleicht nur Denk-, Schreib- und Redemaschinen?  


Das liegt darin, dass sie das Gefühl und die Empfindung verwirrt, wo diese nicht kräftig genug sind, die Vergangenheit an sich zu messen. Dem, der sich nicht mehr zu trauen wagt, sondern unwillkürlich für sein Empfinden bei der Geschichte um Rath fragt „wie soll ich hier empfinden?“, der wird allmählich aus Furchtsamkeit zum Schauspieler und spielt eine Rolle, meistens sogar viele Rollen und deshalb jede so schlecht und flach. Allmählich fehlt alle Congruenz zwischen dem Mann und seinem historischen Bereiche; kleine vorlaute Burschen sehen wir mit den Römern umgehen als wären diese ihresgleichen: und in den Ueberresten griechischer Dichter wühlen und graben sie, als ob auch diese corpora für ihre Section bereit lägen und vilia wären, was ihre eignen litterarischen corpora sein mögen. Nehmen wir an, es beschäftige sich Einer mit Demokrit, so liegt mir immer die Frage auf den Lippen: warum nicht Heraklit? Oder Philo? Oder Bacon? Oder Descartes und so beliebig weiter. Und dann: warum denn just ein Philosoph? Warum nicht ein Dichter, ein Redner? Und: warum überhaupt ein Grieche, warum nicht ein Engländer, ein Türke? Ist denn nicht die Vergangenheit gross genug, um etwas zu finden, wobei ihr selbst euch nicht so lächerlich beliebig ausnehmt? Aber wie gesagt, es ist ein Geschlecht von Eunuchen... (HL §5)


Thursday, April 21, 2016



Vorlesung Nietzsches Wissenschaftsphilosophie                Prof. Dr. Babette Babich
Humboldt Universität                                                                 SoSe 2016

Untersucht wird die Wissenschaftsphilosophie Nietzsches; es geht um das Wesen der Wissenschaft unter dem Blickwinkel der Kunst. In Übereinstimmung mit Nietzsches eigener Zusammenfassung soll auch hinterfragt werden, wie die ehemals sogenannte Wissenschaftstheorie bzw. Wissenschaftsphilosophie gegenwärtig in ihrer fast ausschließlich analytischen Selbstbeschränkung betrieben wird. Letztlich wird Nietzsches Philosophie der Wissenschaft als eine Philosophie von Kunst (im Sinne von Kunstfertigkeit und Technik, aber auch von Kultur und Kreativität) und Leben entwickelt. Indem er Kants Epistemologie sowie seine Wissenschaftsphilosophien radikalisiert, exponiert Nietzsche die Frage der Wissenschaft in kritischem Sinn: Er bringt die Ressourcen der Kunst als eine ihrer selbst bewusste und unschuldige Illusion aus dem ausdrücklich methodologischen Grund in Anschlag und zeigt, dass „das Problem der Wissenschaft [...] nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden“ kann. So brauchen wir eine Kunst des Lesens (passend zu Nietzsches eigener wissenschaftlicher Ausbildung in der Altphilologie), der Auslegung (Hermeneutik), der Betrachtung (Phänomenologie) sowie des Fragens schlechthin; denn nach eigenem Urteil hat Nietzsche die „Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwürdig gefasst“. Gelesen werden Nietzsches eigene Werke dazu, von seinen erkenntnistheoretischen Schriften bis hin zu seinen logisch-theoretischen Schriften, Genealogien, usw.